V. Hobl und R. Kranz / Artikel von DIE WELT

Allein in Europa gibt es 1500 essbare Kräuterarten, die viel vitaminreicher als Gemüse aus dem Supermarkt sind. Selbst sammeln lohnt sich also – nicht nur für diese vier wilden Rezepte-Ideen.

Oben: Gebratener Dorsch mit eingelegten Löwenzahnblüten, Giersch-Karottensalat mit Erbsen. Unten: Ravioli aus geröstetem Roggenmehl mit Brennnesseln, gebratener Spargel mit Sauerampfer und Hollandaise

Foto: Robin Kranz.
Gebratener Dorsch mit eingelegten Löwenzahnblüten, Giersch-Karottensalat mit Erbsen. 

Frau Bernlochner, oder die Vroni, wie man korrekt in Bayerisch sagt, hatte schon immer Kräuter in ihrem Garten vor dem idyllischen Wohlschlaghof gepflegt. Seit einigen Jahren lässt sie auch die Unkräuter ins Beet, der Giersch wuchert zwischen den Rosen. Die Bäuerin aus Fischbachau sammelt mit Urlaubern essbare Wildpflanzen und zeigt ihnen, wie man sie zubereitet. Das machen allein in ihrer Nachbarschaft auch der Kräuter-Waschtl mit dem langen weißen Bart, eine Kräuterhexe und verschiedene andere Pflanzenkundige: Lange bevor das dänische Restaurant „Noma“ berühmt wurde mit Moosen (und Ameisen) auf dem Teller, hat man im Leitzachtal schon gegessen, was wild auf der Wiese stand. „Jahr für Jahr werden es mehr Leute auf unseren Kräuterwanderungen„, sagt Vroni Bernlochner, „die älteren um die 70 erzählen, was Mutter und Großmutter noch gesammelt haben.“ Noch vor 100 Jahren, sagt sie, waren die Wildkräuter auf dem Lande die erste Vitaminquelle nach dem Winter, lange bevor Kulturpflanzen erntereif waren. Die Kräuterpädagogin: „Es kommen aber auch immer mehr jüngere Leute, die sind begeistert.“ Und das dankbarste Publikum sind die Schulkinder: „Die freuen sich einfach, wenn sie lernen, dass man sich Brennnesselblüten aufs Butterbrot streuen kann.“

 In Europa sind rund 1500 Kräuterarten als essbar bekannt, „in Wirklichkeit dürften es aber mehr sein“, schreibt der Koch Jean-Marie Dumaine in seinen wilden Kochbüchern. Statt einfachem Butterbrot gibt es bei ihm Rezepte für knusprige Margeritenknospen, Kohldistelauflauf und Wildrosenpizza. Dumaine hat in seinem Restaurant „Vieux Sinzig“ an der Ahr zurzeit Eifel-Rinderfilet mit frittierten Wildkräutern oder auch Steinklee- und Minzsauce zur karamellisierten Reistarte auf der Karte, Löwenzahnblüten serviert er als Gemüse zum Zicklein im Buchweizenmantel.

Kräuterwanderungen werden inzwischen überall angeboten, ob im bayerischen Tal oder um Großstädte wie Hamburg und Berlin. Oder Frankfurt am Main, wo die Molekular- und Evolutionsbiologin Dr. Sabine Paul mit ihrem Paleo Power Institut versucht, zum Beispiel Manager im artgerechten Umgang mit ihren Untergebenen zu schulen, und Kräuter sammelt: „Brombeerblätter kann man in Smoothies mixen, Gänseblümchenblätter auch.“ Wildkräuter, sagt Dr. Paul, enthalten ein Vielfaches an Vitaminen und Mineralstoffen im Vergleich zu Gemüse aus dem Supermarkt.


Besser als Kopfsalat

Frischer ist das selbst gesammelte Wildgemüse immer. Meist wurden moderne Sorten auch vor allem für Eigenschaften wie Größe, Lagerungsfähigkeit, Schädlingsresistenz gezüchtet. „Wie wir die Nährkraft aus unserem Essen züchten“, beschrieb die „New York Times“ schon 2013 am Beispiel Mais. So enthält die unscheinbare kleine Vogelmiere, ein Unkraut mit kleinen weißen Blüten, das in Büscheln auf Äckern und Brachflächen wächst, durchschnittlich dreimal so viel Kalium und Magnesium, siebenmal so viel Eisen wie ein Kopfsalat. Bei den Vitaminen A und C liegt der Anteil zwei- bis achtmal so hoch.

Auch der Giersch oder Geißfuß, der bis in den Herbst hinein in Gärten wuchert – „der Gärtnerfeind Nummer 1“, sagt Vroni Bernlochner – als Spinat zubereitet Vitamin C– und Mineralstoffquelle. Er gilt als entzündungshemmend: „Früher hat man sich bei Gicht, wenn da der Zeh schmerzte, einfach ein Gierschblatt draufgepackt.“ Der Gewöhnliche Gundermann, ein Lippenblütler, soll seinen Namen, wenig appetitanregend, vom alten Wort Gund für Eiter erhalten haben, weil er früher auf Wunden gelegt wurde (delikater klingt der englische Ausdruck „Ground Ivy“, Bodenefeu). Er wächst bevorzugt auf Wiesen und Weiden, an Gehölzrändern, und schmeckt im Omelette.

Auch Löwenzahn mit seinem scharfen Chicorée-Geschmack – milder wird er, wenn er eine Stunde in Salz oder Wasser zieht – wurde wegen seines hohen Vitamin-C-Gehaltes (etwa achtmal so viel wie Kopfsalat) schon immer in der traditionellen Volksmedizin als Kur verwendet: „Da ist die Frühjahrsmüdigkeit weg“, sagt Bäuerin Bernlochner. Die Biologin Dr. Paul empfiehlt als einfachste und preiswerteste Gesundheitsmaßnahme: „Brennnesseln sammeln. Da hat man alles: Sonne, Bewegung und frisches Gemüse.“

Traditionell werden den Pflanzen und Heilkräutern auch Auswirkungen auf die Stimmung zugeschrieben, der Löwenzahn zum Beispiel steht für lockeres sonniges Selbstbewusstsein, die kultiviertere Melisse für Heiterkeit. So esoterisch, wie das klingt, ist das gar nicht, wenn man dem Rezept von Frau Vroni aus Fischbachau folgt: Drei Zweige Zitronenmelisse (gezupfte Blütenblättchen vom Löwenzahn gehen aber genauso), drei Gewürznelken, abgeriebene Schale einer halben Biozitrone in eine Flasche geben. 100 Milliliter Schnaps oder Korn draufgeben und zwei Wochen ziehen lassen – Heiterkeit!

Und hier kommen vier tolle Rezepte:


Gebratener Dorsch mit eingelegten Löwenzahnblüten

Wildkräuter sollten früh gesammelt und in Salzwasser eingelegt werden, um die Eier des Fuchsbandwurmes zu zerstören

Foto: Getty Images
Wildkräuter sollten früh gesammelt und in Salzwasser eingelegt werden, um die Eier des Fuchsbandwurmes zu zerstören
Zutaten:
2 Handvoll Löwenzahnknospen
120 ml Essig
200 ml Wasser
1 EL Zucker
1 TL Salz
2 Stücke Dorsch à 140 g
1 EL Mehl zum Wenden des Fisches
Öl zum Braten
1 EL Butter
Einige feine Löwenzahnblätter
Löwenzahnblütenblätter zur Dekoration

Das Wasser mit Essig, Zucker und Salz aufkochen. Die Löwenzahnknospen einlegen und noch eine Minute kochen lassen, vom Feuer nehmen und eine Stunde ziehen lassen. Den Fisch würzen, in Mehl wenden. Die Filets in Öl braten, anschließend aus der Pfanne nehmen und warm stellen. Die Butter in der Pfanne bräunen, die Löwenzahnblätter und 2 EL abgetropfte Löwenzahnknospen darin heiß schwenken und die Filets damit übergießen. Dazu passt Kartoffelpüree.


Giersch-Karottensalat mit Erbsen

Achtung, Verwechslungsgefahr: Einige giftige Bärenklaugewächse haben ähnliche Blütenstände, allerdings meist gefiederte und größere Blätter, Gierschblätter sind gezackt

Foto: picture alliance / Arco Images
Achtung, Verwechslungsgefahr: Einige giftige Bärenklaugewächse haben ähnliche Blütenstände, allerdings meist gefiederte und größere Blätter, Gierschblätter sind gezackt
Zutaten:
2 Handvoll junge Gierschblätter
2 EL Palerbsen
Ca. 20 Kaiserschoten, der Länge nach in feine Streifen geschnitten
4 große Karotten (gerne auch bunte Varianten)
2 EL Apfelessig
3 EL Rapsöl
Salz, Pfeffer, Zucker

Karotten mit einem Gemüsehobel hauchdünn hobeln. Mit Essig, Salz, Pfeffer und Öl mischen, eine halbe Stunde ziehen lassen. Palerbsen und die Kaiserschoten zusammen ca. eine Minute blanchieren. Alles mischen.


Ravioli aus geröstetem Roggenmehl mit Brennnesseln

Brennnesseln findet man überall: Am besten erntet man nur die zarten Triebspitzen und achtet darauf, dass einen daraus keine Spinne anlächelt

Foto: HA / A.Laible
Brennnesseln findet man überall: Am besten erntet man nur die zarten Triebspitzen und achtet darauf, dass einen daraus keine Spinne anlächelt
Zutaten für 2 Personen:
50 g Hartweizenmehl
200 g Roggenmehl
1 TL Öl
2 Eier
125 g Magerquark
1 Eigelb
50 g Brennnesselspitzen
1 TL Butter
30 g milder, geriebener Pecorino
Salz, Pfeffer
Einige zarte Brennnesselblätter
2 EL Butter
Pecorino-Späne

Das Roggenmehl auf ein Backblech streuen und im Backofen bei 200° C ca. 10–15 Minuten backen, bis es leicht anfängt zu bräunen. Nach dem Abkühlen mit den übrigen Zutaten mit den Knethaken des Handrührgeräts zu einem festen Teig kneten und anschließend fünf Minuten mit der Hand weiterkneten. In Folie wickeln, zwei Stunden im Kühlschrank ruhen lassen. Quark zwischen Küchenkrepp legen und pressen, damit er Feuchtigkeit verliert. Brennnesseln in aufgeschäumter Butter dünsten, bis sie zusammengefallen sind.

Nach dem Abkühlen fein hacken, mit den übrigen Zutaten vermischen und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Den Nudelteig mit einer Nudelmaschine dünn ausrollen. Je einen Kaffeelöffel der Füllung auf den Teig setzen, den Bereich um die Füllung mit wenig Wasser und einem Pinsel befeuchten und mit einer weiteren Teigbahn bedecken. Teig andrücken, mit einem Runden Ausstecher ausstechen, nochmals zusammendrücken. Ravioli in kochendem Salzwasser garen, mit den übrigen Brennnesselblättchen in leicht gebräunter Butter schwenken, mit Pecorino-Spänen servieren.


Gebratener Spargel mit Sauerampfer und Hollandaise

Sauerampfer liebt nährstoffreiche Wiesen. Er enthält viel Vitamin C und wurde früher als Heilmittel gegen Skorbut eingesetzt

Foto: Amin Akhtar
Sauerampfer liebt nährstoffreiche Wiesen. Er enthält viel Vitamin C und wurde früher als Heilmittel gegen Skorbut eingesetzt
Zutaten für 2 Personen:
2 Pfund Spargel
Zucker
Salz
Zitronensaft
Etwas Butter
Pflanzenöl zum Braten
Salz, Pfeffer, Piment d'Espelette
2 Handvoll Sauerampfer

Das Kochwasser würzig mit Zucker, Salz und Zitronensaft abschmecken. Den geschälten Spargel 10 Minuten ziehen lassen, auf einem Tuch ausdampfen lassen. Eine Hollandaise zubereiten und den in sehr feine Streifen geschnittenen Sauerampfer erst unmittelbar vor dem Servieren in die Sauce rühren. Den Spargel in einer beschichteten Pfanne nach und nach auf mittlerer Temperatur leicht braten, sodass er eine angenehm goldbraune Farbe bekommt. Mit einer Prise Piment d’Espelette, Salz und Pfeffer abschmecken und mit der Hollandaise servieren.


Quelle: http://www.welt.de/icon/article141446078/Warum-wir-alle-mehr-Unkraut-essen-sollten.html